Verband Unabhängiger Kunstsachverständiger
In Quedlinburg zwischen echt und falsch
Unser Vortrags- und Begleitprogramm der VUKS Verbandstagung am 10. und 11. Mai 2019
Jedes Jahr kommen wir an einem anderen Ort zusammen, um uns zu Fachthemen zu informieren, Erfahrungen auszutauschen, unsere Jahreshauptversammlung durchzuführen und nach Möglichkeit auch den Veranstaltungsort etwas näher kennenzulernen. Dieses Jahr führte uns die Veranstaltung nach Quedlinburg – und damit mitten in das UNESCO-Weltkulturerbe. Als Programm erwarteten uns eine Führung durch Stiftskirche und Domschatz, ein Vortrag von unserem geschätzten Kollegen Dr. Hofbauer zum Thema Cranach-Fälschungen und unser Erfahrungsaustausch sowie eine Stadtführung am Samstag. Ständig ging es also im weitesten Sinne um echt und falsch, um Provenienz, Erhaltungszustände und Restaurierung – im Kleinen wie im Großen.
Da der Verbandsvorsitzende Behrend Finke mich dieser Tage um eine Schilderung des Erlebten aus persönlicher Sicht gebeten hat, begleitet mich nun durch Quedlinburg und das Abendprogramm.
Nachdem wir alle wie vereinbart pünktlich vor der Stiftskirche St. Servatii zusammengekommen waren, brachen wir mit einem sehr gut informierten Gästeführer in die Kirche auf. Landläufig wird dieser romanische Bau als der Dom von Quedlinburg bezeichnet. Ein Dom im Sinne religiöser Ordnung ist die Kirche nicht. Aber groß ist sie schon! So kam es wohl im Volksmund dazu, sie einen Dom zu nennen. Auf jeden Fall steht die ottonische Stiftskirche ziemlich wehrhaft in bester Burgenlage oben auf dem Berg, präsentiert sich in feiner Romanik mit etwas Gotik außen, aber vor allem wenig Schnickschnack aus späteren Epochen. Diese Einheitlichkeit macht die Kirche interessant.
Auch wenn ich heute mit Asiatika zu tun habe, war mein Lieblingsthema in der Kunstgeschichte immer die Architektur, weil darin viele Teilaspekte zusammenwirken – der Bau selbst, die Ausgestaltung durch Malerei und Skulptur. Wir haben im Rahmen der Führung einen kurzweiligen Auffrischungskurs deutscher Geschichte des Mittelalters genießen dürfen: von König Heinrich I über die Damen Mathilde und Theophanu, Kaiser Otto III bis hin zur Ablösung der Ottonen durch die Salier. Und die Kirche selbst hat uns den Auffrischungskurs mittelalterliche Architektur erteilt. Besonders interessant ist der Erhaltungszustand der Krypta mit den Spuren mittelalterlicher Malerei – vor allem dort, wo die Witterung nicht hinreichte. Und auch die Fragmente des Knüpfteppichs aus der Zeit um 1200 sind sehr beeindruckend. Durch kaiserliche Privilegien war das Stiftskloster (samt Kirche) unter seinen Äbtissinnen ein Zentrum von Macht und Geld, was sich in Form des Quedlinburger Domschatzes besonders deutlich zeigt. Die Stücke verkörpern nicht nur Reichtum sondern auch Geschmack und elitäre Bildung. Wir alle, ich glaube in diesem Fall spreche ich nicht nur für mich, waren beeindruckt von den liturgischen Gegenständen aus Elfenbein, Edelsteinen, Gold, von der feinen Handwerkskunst und dem relativ guten Zustand, den die Stücke trotz ihrer langen und wechselvollen Geschichte noch aufweisen. Zu sehen gab es zudem auch einige liturgische Textilien – da habe ich doch einen chinesischen Drachen auf einem aus Venedig stammenden Seidenstück entdeckt und mich gefragt, ob die hierzu überlieferte Provenienz stimmt. Naja, kopiert wurden Muster ja schon immer. War das Textilfragment echt europäisch? Oder vielleicht doch echt chinesisch? Zurück zum Domschatz – er stand echt im Sinn von wahrhaftig vor uns. Dass wir die glitzernden Dinge des Domschatzes heute überhaupt bewundern können, nachdem sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Beutegut in die USA verschleppt waren, ist ein glücklicher Zufall und die Restitution eine uns allen bekannte Geschichte.
Leidlich durchgefroren aus der wirklich kalten Kirche ging es dann zu Mitgliederversammlung und Vortrag weiter. Dr. Hofbauer hat mit einem fachlich äußerst interessanten Vortrag zu Cranach-Fälschungen das Treiben und die Dreistigkeit der Fälscher aufgezeigt, zugleich für uns alle nachvollziehbar aber auch die Trägheit des Kunstmarktes und Auktionswesens vor Augen geführt. Wenn auf offensichtlich Nachgeahmtes nicht adäquat reagiert wird, kann etwas nicht stimmen. Natürlich müssen wir die philosophische Debatte um echt und falsch nicht führen – von der Hand des Künstlers wäre in der Malerei und Skulptur wohl angebrachter als Formulierung. Dr. Hofbauers Vortrag, der nicht nur fundiert sondern auch spannend war – Danke dafür – hat uns jedenfalls über das Essen hinaus beschäftigt ... und daher haben wir danach den Faden wieder aufgenommen. Dr. Hofbauer erläuterte die Beurteilung von Cracquelé auf (Altmeister-)Gemälden und die gefälschten Haarrisse oder Brüche.
Der Erfahrungsaustausch zu vielen Fragen unserer Tätigkeit von Restwerten bis zur Bemessung von Werten bei Fragmenten und vor allem den Fälschungen dauerte bis weit nach Mitternacht. Leider haben die Tücken der Technik im Seminarraum den spontanen Einsatz von Professor Grimms ergänzenden Fotos zum Thema unmöglich gemacht. Ich glaube, wir alle lernen daraus und bringen in Zukunft ein reiches Sortiment an Adaptern zwischen Laptop und Beamer mit. Am besten alles, was es auf dem Markt gibt. So illustrierte Dr. Hofbauer die wichtigen Informationen mit dem von ihm in langjähriger Arbeit gesammelten Bildmaterial. Man kann mit gutem Bildgedächtnis und akribischer Vergleichsarbeit Fälschungen auch ohne naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden enttarnen – letztere sind wohl nur bei High-end-Produkten nötig. Aus der Sicht der Asiatika-Bewertung ist es aber tröstlich, dass die Kollegen ebenso mit einer Menge Fälschungen (von plump bis perfekt) zu tun haben. Bei Asiatika, insbesondere Tuschmalerei aus China, geht man in der Regel von 95% Fälschungen bei bekannten Künstlern aus. Ich fühle mich persönlich einmal mehr in der Methode bestärkt, den stilistischen und handwerklich-technischen Vergleich zu verfolgen.
Am Samstag um 10 Uhr ging es wie vereinbart gemeinsam zur Stadtführung und zu unserer Überraschung begleitete uns erneut der Gästeführer vom Vortag. Wir bekamen Informationen zu vielen Ecken der Stadt, gewürzt mit anschaulich dargebotenen Sprichwörtern. In Quedlinburg kann man im wahrsten Sinne des Wortes den Laden dicht machen und sehen, wo die Spuren zurückbleiben, wenn man die Kurve kratzte. Zumindest waren die Sprichwörter wohl eines der Steckenpferde unseres Gästeführers, was seine Führung angenehm kurzweilig machte. Es goss in Strömen, und kalt war es auch ... daher ging es vom Roland aus in die Marktkirche St. Benedikt, und der Schwerpunkt der Stadtführung verlagerte sich so ganz nebenbei auf Gebäude, die man irgendwie betreten konnte. Auf dem Weg von Kirche zu Kirche durften wir die ältesten und neuesten Fachwerkbauten der Stadt bestaunen. Vorbei am Plattenbau Modell Quedlinburg, eine dekorative Fachwerkvariante aus DDR-Zeiten, damit die neuen Häuser gut ins Bild der historischen Stadt passten, wanderten wir durch die Altstadtgassen. Die Fachwerkrestaurierungen zu Zeiten der DDR wurden von polnischen Fachleuten durchgeführt, es gab es eine Fachschule für diese Sparte und so blieb dank der Zusammenarbeit wohl vieles erhalten. Interessant ist, dass man in Quedlinburg indirekt etwas über unsere Sehgewohnheiten lernt. Für viele ist ein Fachwerkbau irgendwie eine Mischung aus holzsichtigen Balken und getünchten Gefachen oder zur Not auch holzsichtige Balken mit gemusterten roten/braunroten Backstein-Gefachen. Wer nicht gerade in Fachwerkstädten zuhause ist, kennt einfach keine komplett bunten, meist Ton in Ton gestrichenen Fachwerkgebäude. In Quedlinburg gibt es einige auf diese Weise restaurierten Objekte.
Die Art der sonst weithin gängigen zeitgenössischen Restaurierungsarbeiten, die wir überall zu Gesicht bekommen, verstellt uns vielleicht ein wenig den Blick darauf, dass die Häuser tatsächlich auch farbig zu haben waren. Weiter ging es zur Ägidienkirche, die eigentlich nur in der schönen Jahreszeit am Wochenende zu besichtigen ist. Wie gut, dass unser Gästeführer Schlüsselgewalt hatte. Zu sehen gab es ein wunderbares Glasfenster und eine äußerst interessante Innenraumgestaltung mit Kastengestühl aus dem 17. Jahrhundert. Das sieht man selten bis gar nicht mehr in den Kirchen, wohl weil es irgendwann dem Geschmack der Kirchgänger vielerorts nicht mehr entsprach und darum entfernt wurde. Hier hat sich eines erhalten und es trägt maßgeblich zur Atmosphäre der Kirche bei. Dazu sieht man eine Orgel aus dem 17. Jh. sowie einige ausgefallene Dinge, darunter eine gotische Steinzange (der Steinwolf), wenn ich mich recht erinnere, war sie in der Läutekammer. Über allem prangt der schöne gotische Flügelaltar, der hier nicht von Anbeginn an steht sondern aus der Marktkirche schon um 1700 hierher überführt wurde. Ein gotisches Gebäude mit besonderem Charakter.
Trotz des Wetters haben wir viel in der Stadt gesehen und schließlich nach mehr als 2,5 Stunden in gemütlicher Runde in einem Caféhaus den Rundgang beschlossen. Mein kurzer Bericht mag den Dabeigewesenen das Eine oder Andere in Erinnerung rufen, den nicht anwesenden Kollegen aber vielleicht Lust machen, auch einmal nach Quedlinburg zu reisen. Ich bin sehr gespannt, was wir nächstes Jahr gemeinsam in Mainz erleben werden.
Wer sich für Fotos aus Quedlinburg interessiert, den muss ich auf die Kollegen mit den smarten Telefonen verweisen, denn ich habe nur wenige Aufnahmen gemacht. Wir sehen uns in Mainz!
Mit kollegialen Grüßen,
Sabine Hesemann
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